Was hat mentale Gesundheit mit Zähneputzen zu tun?

Gastbeitrag von Dr. Nina Bürklin

Autor: Nina



Was hat mentale Gesundheit mit Zähneputzen zu tun?

Ein guter Freund gestand mir letztens, dass er manchmal Tage habe, „an denen wo ich abends so kaputt bin, dass ich einfach nur noch ins Bett falle und mir nicht mal mehr die Zähne putze“. Ich schaute ihn mit großen Augen an: „Wie jetzt, du putzt dir nicht die Zähne?“

IST DER MENSCH WIRKLICH EIN GEWOHNHEITSTIER?

Zähneputzen gehört in unserem Kulturkreis einfach dazu. Jedes Kind lernt, dass es wichtig ist, seine Zähne zu putzen, um gesund zu bleiben. Vorsorge eben. Jeder Erwachsene putzt sich die Zähne, weil er es so gewohnt ist. Macht man halt. Und irgendwie ist es eher merkwürdig, wenn sich jemand nicht so verhält.

Ich erlebe mentale Gesundheit in unseren Breitengraden eher als Hype einer kleinen Gruppe, nicht als weit verbreitete Gewohnheit. Themen wie Psychohygiene und Prävention sind eher mit Scham belastet als mit Stolz. Das Thema wird oft tabuisiert anstatt es als Teil unseres bewussten Lifestyles anzusehen.

Allerdings bin ich überzeugt, dass es ein Trend ist, der es wert ist, zur Selbstverständlichkeit zu werden. Ja, wir Menschen sind Gewohnheitstiere – und Gewohnheiten lassen sich ändern.

Was muss also passieren, dass die Vorsorge für unsere mentale Gesundheit genauso zur Gewohnheit wird wie Zähneputzen?

Und wie kann es überhaupt sein, dass wir uns – trotz eindeutiger Studienergebnisse – immer noch schämen, über psychisches Wohlbefinden zu sprechen?

Diese Frage hörte ich zum ersten Mal in einem Vortrag von Richard Davidson. Der renommierte Neurowissenschaftler untersucht seit Jahrzehnten, welche Veränderungen im Hirn stattfinden können, die unser persönliches Wohlbefinden steigern. Und welche davon wir Menschen aktiv steuern können.

WIE KANN UNS DIE WISSENSCHAFT HIER HELFEN?

Der Forscher Davidson untersucht unter anderem, welchen Anstoß wir brauchen, um unsere Verhaltensweisen zum Positiven zu ändern.

Die daraus resultierenden Erkenntnisse zeigen uns: Wohlbefinden können wir üben und zur Gewohnheit machen – genau wie Zähneputzen.

Der Schlüssel liegt in einer tiefgreifenden Erkenntnis moderner Wissenschaften: Neuroplastizität – sie beschreibt die Fähigkeit unserer Gehirne, sich selbst zu ändern. Unsere Gehirne verändern sich ständig und werden zudem dauerhaft von externen Einflüssen bestimmt. Gleichzeitig haben wir die Möglichkeit, diese Veränderungen über unsere bewusst gesteuerten Gedanken und Handlungen zu beeinflussen. Aber die meiste Zeit haben wir gar kein Bewusstsein dafür, welchen Einflüssen wir überhaupt ausgesetzt sind.

Ich finde, wir sollten bei uns selbst anfangen: wir alle können mehr Verantwortung für unser eigenes Gehirn und damit für unser eigenes Wohlbefinden übernehmen. Das kann gelingen, indem wir unser Mindset ändern.

Der erste Schritt zu mentaler Stärke ist ein neuer Blick auf unsere Gewohnheiten: in welchem Verhältnis stehen positive und negative Gedanken in meinem Kopf? Wann war ich das letzte Mal dankbar – und warum? Was erfüllt mich im Leben?

Der Wissenschaft zufolge liegt ein Weg für eine Veränderung hin zu mehr mentaler Gesundheit in unserem Fokus auf das eigene Sinnerleben. Du kennst sicher auch Momente, in denen du total im Flow bist. Augenblicke, in denen du alles um dich herum vergisst. Oder auch Aktivitäten, die dich einfach glücklich machen. Das alles sind Hinweise dafür, dass dir genau diese Erlebnisse Sinn geben. Im Englischen oftmals mit „Purpose“ oder „Meaning“ bezeichnet, geht es hierbei um das Erfahren des eigenen Lebens als bedeutungs- und wirkungsvoll.

WAS HAT DER FOKUS AUF SINN MIT MENTALER STÄRKE ZU TUN?

Als „Wille zum Sinn“ beschrieb Viktor Frankl, österreichischer KZ-Überlebender und Neurologe, diese zutiefst menschliche Sehnsucht und Notwendigkeit, ein sinnerfülltes Leben zu führen. Der Begründer der sinnzentrierten Psychotherapie (Logotherapie) ging davon aus, dass eben dieser Wille zum Sinn das Menschsein prägt. Gleichzeitig ist er stärkste Motivator unserer Aktivitäten und ausschlaggebend für unsere Gesundheit.

Moderne Forschungsergebnisse bestätigen dies: Langzeitstudien konnten zeigen, dass ein ausgeprägtes Sinnerleben mit mentaler und körperlicher Gesundheit assoziiert wird und sogar die eigene Lebensqualität steigern kann.

Eine Studie mit knapp 7.000 Personen in den USA zeigte auf, dass Menschen ohne ausgeprägtes Sinnerleben ein deutlich höheres Sterberisiko hatten als solche mit einem hohen Level an persönlichem Sinn. Die Studienteilnehmer im Alter zwischen 60 und 70 Jahren mit sehr niedrigem Sinnerleben hatten ein mehr als doppelt so hohes Sterberisiko innerhalb der nächsten fünf Jahre wie jene mit einem hohen Level an Sinn. Die Forschungsergebnisse von 2019 zeigen insbesondere, dass das Risiko an Herz- oder Kreislaufproblemen zu sterben bei Menschen signifikant niedriger war, die ihr eigenes Leben als bedeutungsvoll erlebten.

Und auch ohne, dass wir bereits in der zweiten Lebenshälfte sein müssen, können wir aus diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen eine Menge lernen:

1. Körperliche und mentale Gesundheit stehen in einem direkten Zusammenhang, da sie sich gegenseitig beeinflussen.

2. Aufgrund der Eigenschaft unseres Gehirns, sich immer wieder selbst zu ändern und anzupassen (Neuroplastizität), können wir aktiv Einfluss auf unser persönliches Wohlbefinden nehmen.

3. Der „Wille zum Sinn“ treibt uns Menschen im Leben an, wobei ein hohes Level an Sinnerleben unsere Gesundheit stärkt.

Aber wie genau kann das gelingen?

DEIN LEBEN, DEINE ENTSCHEIDUNG.

Als allererstes: besser wenig als gar nichts. Wir alle wissen, dass bereits 3 Minuten Zähneputzen pro Tag uns helfen, für unsere körperliche Gesundheit vorzusorgen. Ergebnisse aus den Neurowissenschaften haben gezeigt, dass Veränderungen im Gehirn bereits nach zwei Wochen messbar sind. Du kannst also einfach damit starten, jeden Tag 3 Minuten in dein mentales Wohlbefinden zu investieren und deine Gewohnheit über zwei Wochen aktiv zu beeinflussen. Das sollte für jeden von uns machbar sein, oder?

Zweitens: die Möglichkeiten sind so vielfältig wie wir Menschen unterschiedlich sind. Trau‘ dich, Neues auszuprobieren und so den richtigen Weg für dich zu finden. Vielleicht gehörst du zu den Menschen, die es hilfreich finden, am Abend drei Sachen aufzuschreiben, für die sie dankbar sind (denn sogar Dankbarkeit hat einen positiven Einfluss auf Körper und Geist, wie du hier im Deep Dive nachlesen kannst). Oder du bist eine der Personen, die ein paar Minuten auf dem Weg zur Arbeit oder den ersten Kaffee am Morgen nutzen, um bewusst wahrzunehmen, wie es ihnen heute geht – körperlich und auch emotional.

Allein die bewusste Wahrnehmung im jetzigen Moment stärkt unser mentales Wohlbefinden – und kann mittels Achtsamkeitstechniken gefördert werden. Und vielleicht gehörst du zur gleichen Gruppe wie mein guter Freund, der nun wirklich die Zeit beim Zähneputzen nutzt, um sich das aktuell Positive in seinem Leben zu vergegenwärtigen.

Drittens führt unsere eigene mentale Stärke nicht nur dazu, dass wir insgesamt gesünder sind. Wenn wir unseren Geist hegen und pflegen, können wir außerdem unsere Produktivität steigern. Zudem können wir eigenen verzerrten Wahrnehmungen, auch kognitiven Verzerrungen oder Bias genannt, vorbeugen. Schließlich können wir sogar Kosten in unserem Gesundheitssystem reduzieren. Wer hätte da nicht Lust, 3 Minuten pro Tag zu investieren?

Es liegt an dir: du entscheidest, was am besten für dich ist.

Wie fast allen von uns war auch dem Freund von mir klar, dass tägliches Zähneputzen die Gesundheit stärkt. Seit er jedoch angefangen hat, diese Zeit für seinen bewussten Fokus auf das Positive zu nutzen, sind ihm manche Dinge auf anderer Ebene klarer geworden. Er hat realisiert, dass ihm vor allem Momente in Ruhe und nur für sich selbst besonders wichtig sind und ihn auch mental stärken. Die baut er jetzt bewusst in seinen Alltag ein und denkt sogar darüber nach, sich vielleicht doch mal mit Meditation heranzutrauen.

Als Empowerment Coach biete ich Workshops in München und Online-Trainings an. Du hast Lust, deine Potenziale sichtbar zu machen und mich live zu erleben? Entdecke hier alle meine Kurse auf Fyndery.


Über den Autor: Dr. Nina Bürklin hat eine große Leidenschaft dafür, Ungewöhnliches zu verbinden. Als Initiatiorin von MEANING + More veröffentlicht sie im Fyndery Magazin Gastbeiträge zu den Themen Sinnerleben und mentale Gesundheit.